Predigt am Palmsonntag über Mk 14,3-9

Die Predigt kann auch als Audiodatei angehört werden.

 

Lasst uns einen Moment still sein und Gott darum bitten, dass er zu uns spricht.

STILLE

Gott schenke uns ein Herz für dein Wort und ein Wort für unser Herz! Amen.

 

Liebe Gemeinde,

der Text, über den ich heute predige, steht im Markusevangelium im 14. Kapitel.

Ich lese daraus den ersten Teil:

3 Jesus war in Betanien bei Simon, dem Aussätzigen, zu Gast.  

Während des Essens kam eine Frau herein. Sie hatte ein Fläschchen mit reinem, kostbarem Nardenöl.

Das öffnete sie und goss Jesus das Öl über den Kopf.

4 Einige der Anwesenden waren empört darüber.

»Was soll diese Verschwendung?«, sagten sie zueinander.

5 »Dieses Öl hätte man für mehr als dreihundert Silberstücke verkaufenund das Geld den Armen geben können!«

Sie machten der Frau heftige Vorwürfe.

 

Sag mal, kennst du diese aufgetakelte Frau? Die kommt doch auch mit ihrem Alter nicht klar. Warum muss die denn so auf junggeblieben machen? Echt peinlich. Und wie die manchmal redet!

Letztens habe ich sie gesehen, wie sie mit der Dorfjugend gegrillt hat. Was hat die denn dort zu suchen? Ich finde, das geht gar nicht.

Oder kennst du den Typen, der sich jedes Jahr eine größere Karre kauft. Und dann damit schön protzig durch den Ort fährt. Ist dir aufgefallen, dass der immer extra langsam fährt,

wenn er an Fußgängern vorbeikommt? Und dann hält der manchmal sogar an und nimmt wildfremde Leute mit in den nächsten Ort. Das macht der doch nur, um angeben zu können.

Ich finde das unmöglich.

Und hast du von der Omi, die einen immer so fieß vom Fenster aus anguckt, wenn man draußen daran vorbeiläuft? Sicher ist die schon über 80. Vielleicht ist Sie neidisch, weil sie gerade nicht raus kann.

Ich hab gehört, die soll sogar andere schon angezeigt haben, weil sie die Ausgangsbeschränkungen nicht eingehalten haben. Was denkt die eigentlich, wer sie ist?

Vielleicht kennst du auch diesen jungen Kerl. So ein Überfrommer. Der bei christlichen Liedern auch manchmal einfach so aufsteht. Oder sich beim Gebet hinkniet und die Hände vors Gesicht hält.

Ich habe ihn im Gottesdienst sogar schon mal weinen sehen oder laut „Halleluja“ rufen hören. Das ist doch nicht normal, oder? Das muss doch wirklich nicht sein, sich so darzustellen.

 

Liebe Gemeinde, muss das wirklich sein? Ist das noch normal?

Wir kennen alle irgendwie solche Menschen.

Wir kennen auch diese Frage: Was ist eigentlich normal?

Mitten aus unserem Alltag. Gerade jetzt in diesen Tagen.

Was ist eigentlich noch normal?

Diese Frage bestimmt unser Denken – manchmal mehr, als uns vielleicht lieb ist.

Wir kennen sie aber auch aus der Perspektive derjenigen, denen sie vorgehalten wird.

Bist du noch normal?

Aus einer inneren Empörung heraus, wird schnell eine äußere. Irgendwann wird aus meiner eigenen inneren Stimme eine Stimmung. Und diese Stimmung durchzieht unser ganzes Leben:

 

Da sitzen 5 Kinder im Sandkasten. Alle bauen Sandkuchen mit Förmchen. Ein Kind aber steckt sich permanent die Sandkuchen in den Mund, um zu kosten.                                                     

Ist das noch normal?

Da sitzen 5 Jugendliche an der Bushaltestelle. Alle haben Kopfhörer im Ohr. Nur einer nicht. Er hält eine Instrumententasche in der Hand.

Ist das noch normal?

Da sitzen 5 Menschen im Bus. Alle mit verbissenem Blick. Einer lacht und grüßt alle freundlich.

Ist das noch normal?

Da sitzen 5 Senioren im Café. Alle zerreißen sich Maul über andere. Nur eine bleibt stumm.

Ist das noch normal?

Da sitzen 5 Männer nach dem Spiel in der Kneipe. Alle ärgern sich über die schlechte Bezahlung und die Arbeitsbedingungen in ihrem Job. Einer spricht davon, wie froh er wäre, arbeiten zu können.

Ist das noch normal?

Da sitzen 5 Konfis im Gemeindehaus. Alle lustig, laut und lebensfroh. Manchmal sogar noch mehr. Eine aber ist nachdenklich, vielleicht sogar traurig.

Ist das noch normal?

 

Liebe Gemeinde, was ist denn NORMAL?

Da kommt ein Frau zu Jesus.

Der Raum ist gefüllt von seinen Jüngern.

Alle stehen herum.

Sprechen leise.

Über Jesu Einzug in Jerusalem.

Bombastisch. Der Jubel. Die vielen Menschen am Straßenrand.

Jesus wird die Massen mobilisieren, für ihre gute Sache.

Und endlich das Volk vereinen und für klare, gerechte Verhältnisse sorgen.

Und da steht plötzlich diese Frau vor Jesus.

Sie zerbricht ein Gefäß mit Öl und gießt es Jesus ungefragt über den Kopf.

Und er – wehrt sich nicht mal.

Die Jünger schütteln nur den Kopf.

Die Frau verteilt das kostbare Öl vorsichtig auf seinen Haaren.

Streicht mit ihren Händen sanft über sein Gesicht.

Der Raum beginnt zu duften.

Jesus schließt die Augen.

Die anderen Anwesenden werden unruhig.

Ärger ist in ihren Gesichtern zu sehen.

Plötzlich bricht einer heraus:

„Was soll denn das? Was machst du denn da? Das ist doch nicht normal! Das kostbare Öl. Damit hätten wir tausend armen Menschen helfen können.

Spiel dich hier doch nicht so auf, als wärst du allein auf der Welt. Denkst wohl, du bist was besseres als wir?“

Die Frau steht inzwischen verunsichert neben Jesus. Ihre Hände noch voll Öl. So wie sein Haupt. Sie schaut unsicher zu Boden.

Da öffnet Jesus seine Augen und schaut sie liebevoll an.

 

Liebe Gemeinde, was ist normal?

Normal ist doch eigentlich, was die Mehrheit macht und meint. Alles andere muss ja dann un-normal sein. Eben anders. Irritierend anders.

Aber was irritiert mich eigentlich?

Warum bin ich von dem, der anders aussieht, anders handelt als die meisten, so irritiert?

So irritiert, dass ich es kaum in seiner oder ihrer Nähe aushalten kann?

Die einfache Lösung lautet: Entweder der ANDERE passt sich an oder ER gehört nicht mehr dazu.

Wenn ich mir unser zwischenmenschliches Miteinander so anschaue, dann erkenne ich, dass wir alle in der Gefahr stehen, auszugrenzen bzw. ausgegrenzt zu werden. Ständig.

Weil es menschlich ist, Angst davor zu haben, dass jemand, der anders ist, mir damit zu nah auf die Pelle rückt, mich und mein Leben plötzlich in Frage stellt.

Weil ich dann schnell anfange darüber nachzudenken, ob mein Denken und Handeln eigentlich richtig und angemessen ist.

Weil ich dann plötzlich wie ein Kind reagiere, das anschreit oder sogar wegstößt, wen oder was es nicht kennt.

Die Sehnsucht nach Normalität. Sie ist menschlich. Das erleben wir ja gerade ganz besonders.

Aber sie kann auch zerstörerisch sein.

Wir lesen und hören den zweiten Teil der biblischen Geschichte vom Anfang dieser Predigt:

 

6 Aber Jesus sagte: »Lasst die Frau in Ruhe! Warum bringt ihr sie in

Verlegenheit? Sie hat eine gute Tat an mir getan.

7 Arme wird es immer bei euch geben und ihr könnt ihnen helfen, sooft ihr

wollt. Aber mich habt ihr nicht mehr lange bei euch.

8 Sie hat getan, was sie jetzt noch tun konnte: Sie hat meinen Körper im

Voraus für das Begräbnis gesalbt.

9 Ich versichere euch: Überall in der Welt, wo in Zukunft die Gute

Nachricht verkündet wird, wird auch berichtet werden, was sie getan hat. Ihr Andenken wird immer lebendig bleiben.«

 

Liebe Gemeinde, was ist normal?

Die Jünger sind sich wohl einig darin, dass es normal ist, mit Jesus für die Armen da zu sein und anderen zu helfen.

Und dann kommt eine Frau, die etwas irritierendes tut. Sie kümmert sich nicht um andere, sondern um Jesus selbst. Sie tut so, als benötigt Jesus Hilfe und Zuwendung.

Wir erfahren nichts davon, warum sie das eigentlich tut.

Im Nachhinein scheint durch die Salbungsgeschichte natürlich Jesu Tod und sein Begräbnis hindurch.

Für die Jünger war dieses Verhalten jedoch äußerst irritierend.

Jesus lässt sich etwas Gutes tun. Lässt sich von einer Frau helfen.

Für die Jünger war er doch der Meister, der Messias, der Sohn Gottes.

Aber Jesus sagt: „Lasst sie! Sie hat recht! Auch ich bin schwach und bedürftig. Und es wird noch schlimmer kommen. Es ist nicht immer so, wie ihr es gern hättet mit eurer Normalität.“

Und auch wenn es die Jünger in diesem Moment noch nicht begreifen: Spätestens sein Tod am Kreuz wenige Tage später wird ihr Verständnis von Normalität und ihre Erwartungen völlig in Frage stellen.

Spätestens zu diesem Zeitpunkt sind die Jünger (und mit ihnen ja auch wir heute) herausgefordert, „Normalität“ neu zu denken.

 

Liebe Gemeinde,

diese Bibelgeschichte hat Kraft.

Ich könnte euch und Sie nun fragen: Ob wir das Wort „normal“ eigentlich noch brauchen.

Ob wir es nicht besser aus unserem Wortschatz und viel wichtiger aus unserem Denken streichen sollten.

Normal – also der Norm entsprechend - das gilt vielleicht für Werkstücke vom Band oder Produkte im Supermarkt. Für Klamotten und Musikgeschmack.

Aber doch nicht für Menschen. Auch nicht für den Glauben. Noch weniger für Gott.

Jesus hat das ganz deutlich gemacht: im seltsamen Umgang mit der Frau, die ihn salbte, durch seinen unerwarteten Weg ans Kreuz, und vor allem dadurch,

dass er nach seinem Tod den Menschen wieder begegnet ist: als der selbe und doch auch als ein anderer.

Es ist die Geschichte einer Frau, die uns zeigt, dass bei Gott nichts normal ist. Eine Frau, die einen un-normalen Weg geht, und gerade dadurch zu Gott findet.

Auch wir sind im Moment mehr denn je herausgefordert un-normale Wege zu gehen, um uns auf Ostern vorzubereiten.

Diese namenlose Frau mit dem Salböl im Arm kann uns Mut machen, Jesus anders zu begegnen, als gewohnt.

Und sie lädt uns ein zu fragen, ob wir dabei nicht auch selbst erst mal zu ANDEREN werden müssen.

Amen.